Interview mit dem Journalisten und Blogger Richard Gutjahr Teil II

🕓 Lesezeit circa 6 Minuten
Richard Gutjahr (Foto: Mathias Vietmeier)

Richard Gutjahr (Foto: Mathias Vietmeier)

Frisch gebloggt: Du sprichst davon im Internet gefunden zu werden. Damit sprichst Du ein sehr interessantes Thema an, nämlich die Suchmaschinen-Optimierung.

Verändert sich Dein Schreiben denn hinsichtlich der Such- maschinen-Optimierung? Schreibst Du tatsächlich keyword-optimiert, um in Suchmaschinen wie Google besser gefunden zu werden? Hast Du dieses Thema im Kopf, wenn Du einen Blogpost schreibst? Schreibst Du online anders als für Print?

Richard Gutjahr: Definitiv, aber das hat nicht nur etwas mit Suchmaschinenoptimierung zu tun. Auch hier halte ich es für einen Frevel und für eine völlig falsche Herangehensweise in solchen Kategorien zu denken. Menschen, die für Google schreiben, für einen Algorithmus, und darüber die Geschichte oder das Publikum vergessen, die haben für mich in der Branche – ich rede jetzt über den Journalismus – nichts zu suchen. Das mag Marketing-technisch vielleicht mal eine Weile gut gehen, on the long run verlieren aber diejenigen, die nur etwas verkaufen wollen und weniger an den Geschichten oder an den Menschen interessiert sind. So funktioniert das alles nicht! Das ist ja auch dieser radikale Wandel, der sich da vor unseren Augen vollzieht, mit dem so viele Menschen ein Problem haben. Für Google, Facebook oder Twitter zu schreiben wäre töricht, das wird auch ganz schnell durchschaut. Und wenn Google sich plötzlich entschließt, den Algorithmus zu ändern, wie es jüngst erst wieder geschehen ist…

Frisch gebloggt: Du meinst das Google Panda Update?

Richard Gutjahr: Ja, richtig. Passiert so etwa, dann sieht man ganz schnell wieder alt aus. Noch einmal: damit mag man kurzfristig, vielleicht sogar mittelfristig, den ein oder anderen Treffer landen, wenn man aber über einen Zeithorizont von fünf Jahren hinausdenkt, dann rate ich ganz dringend ab in diesen Kategorien zu denken. Das ist, wenn man so will, wie kurz vor dem Unterricht Hausaufgaben abzuschreiben. Natürlich kommt man damit bis zu einem gewissen Grad durch, aber ich rate doch sehr sich tatsächlich mit der Materie wirklich zu befassen und nicht zu versuchen, sich nur irgendwie durchzuschummeln. Wenn man etwas Bedeutendes, etwas Bleibendes schaffen will in dieser Welt, dann muss man wirklich verstehen worum es geht – über die Suchmaschine hinaus. Will heißen: man muss sich wirklich mit dem Publikum befassen und mit den Themen und nicht mit den Vehikeln und Transportwegen, die heute so sind und morgen vielleicht so.

 

G! Video – Richard Gutjahr befragt deutsche Bloggerlegenden zu ihrem Lieblingsblog:

 

Frisch gebloggt: Du rätst Bloggern und Online-Journalisten also dazu, sich nicht von Google & Co abschrecken zu lassen. Die Qualität des Contents spielt Deiner Ansicht nach auch in den Neuen Medien noch immer die größte Rolle?

Richard Gutjahr: Mehr denn je! Es reicht auch nicht mehr alleine, einen großen Namen zu führen. Überlege Dir einmal, was alleine in den letzten zehn Jahren für ein Imagewandel einzelner großer Player stattgefunden hat, von denen man gemeint hat, sie sind gesetzt bis in alle Ewigkeiten. Da verschieben sich tatsächlich Kontinentalplatten. Eine winzige Rheinzeitung zum Beispiel hat auf Twitter ein größeres Renommee als Süddeutsche, Spiegel oder FAZ. Oder das ZDF, wär hätte das gedacht, führt einen der erfolgreichsten Twitter-Accounts Deutschlands! Ausgerechnet der Kukident-Sender ZDF! Die Karten werden in der Tat neu gemischt! Ich würde mich in so einem Spiel nicht nur mit den Spielregeln, sondern auch mit den Spielpartnern befassen, und das sind The people formerly known as the audience.

Frisch gebloggt: Eine letzte Frage: Stell Dir vor Du schreibst für Deine Blogleser eine Geschichte über einen Journalisten im Jahre 2025. Welches Leben würde Dein Protagonist wohl führen und wie würde sein Arbeitsalltag aussehen?

Richard Gutjahr: Ich glaube der Journalist wird wahrscheinlich erst einmal unglaublich ulkige Klamotten tragen. Ich hab da so die Bilder von diesen Reporter-Klischees vor Augen, die so in den 70er Jahren als hip und modern galten, im Trenchcoat-Look á la Inspektor Columbo… nein, Spaß beiseite, ich glaube sehr viel konservativer und altertümlicher als wir uns das vorstellen.

Richard Gutjahr (Foto: Mathias Vietmeier)

Richard Gutjahr (Foto: Mathias Vietmeier)

Frisch gebloggt: Also kein Reporter mit Tablet-PC in der Hand, der direkt von der Straße aus schreibt und veröffentlicht?

Richard Gutjahr: Das habe ich nicht gesagt. Natürlich wird er die Technik nutzen, genauso wie wir angefangen haben in den 90er Jahren ein Handy zu benutzen oder im Jahre 2005 den OECKL wegzuschmeißen und lieber zu googlen. Aber das sind ja nur Äußerlichkeiten, das ist ja sozusagen den Reporterblock gegen einen Computer auszutauschen.

Frisch gebloggt: Nun ja, die Geschwindigkeit ist hierbei schon ein großer Unterschied. Die Nachricht lässt sich mit Hilfe der Technik natürlich viel schneller an die Leser und Zuhörer bringen. Stichwort Echtzeit.

Richard Gutjahr: Ja, aber auch das werden wir schon hinter uns haben im Jahre 2025. Das ist ja heute schon quasi der Fall, da müssen wir ja gar nicht so weit in die Glaskugel gucken. 2025 glaube ich werden wir tatsächlich wieder so ein bisschen back to the roots erleben. Was meine ich damit? Ich hab da diese irre Theorie, aber ich glaube da ist was dran: wenn man sich die Kommunikationsgeschichte mal anschaut, damit meine ich ganz zurück bis zu den ersten Steintafeln, dann haben wir eigentlich in den letzten hundert bis hundertfünfzig Jahren seitdem es diese Pennypress und die ersten wirklichen Massenmedien gibt, Kommunikation immer nur vorgegaukelt. Kommunikation ist für mich etwas, was in zwei Richtungen läuft, die Massenmedien haben diese zweite Richtung tot gemacht, im besten Fall imitiert, mit Leserbriefen, von denen man lieblos mal zwei oder drei abdruckt, die auch redaktionell bearbeitet. Aber die Formen der Kommunikation, die es davor gab, waren sehr viel reichhaltiger, direkter, unmittelbarer, echtzeitiger und auch interaktiver. Wenn Du Dir vorstellst, dass auf den Foren und Marktplätzen auch Neuigkeiten verkündet wurden, und wie in einem Theaterstück das Publikum sofort darauf reagieren kann, im schlimmsten Fall den Messenger gemeuchelt haben für die schlechten Nachrichten, die er überbracht hat. Und so gesehen halte ich auch die Blogs, die wir jetzt in diesen Jahren erleben, für eine Renaissance dieser sehr diversifizierten, sehr reichhaltigen, bunten und breiteren Kommunikation, die es ja schon einmal gab. Von den Flugschriften bis hin zu den Geschichtenerzählern, das war ja auch Echtzeitkommunikation und ein unmittelbarer Austausch mit einer diversifizierten Gruppe und auch mit einer Feedback-Möglichkeit sozusagen.

Ich glaube 2025 werden wir als Journalisten wieder ein Stück weit mehr zu Moderatoren (im angelsächsischen Raum macht dieser Begriff des Curatings immer mehr von sich reden), dass wir Kommunikation eher auch nur organisieren und uns gar nicht mehr alleine auf das Kopieren und Zusammenstückeln von Nachrichtenagenturen konzentrieren, was wir im Moment ja gerade überall erleben. Dass wir Kommunikation organisieren anstatt diese selber nur von oben herab auf eine uns nicht näher bekannte Menge herabzusenden oder zu drucken. Das, glaube ich, wird ein Journalist in Zukunft tun müssen. Die Schnittstelle zwischen allem wo Kommunikation stattfindet zu sein und sich nicht darauf zu beschränken, dass er selber die einzige Quelle für Kommunikation ist.

Frisch gebloggt: Wer wird sein Arbeitsgeber sein? Hat der Journalist der Zukunft überhaupt noch einen Arbeitsgeber?

Richard Gutjahr: Immer mehr das Individuum. Ich glaube, dass es tatsächlich Formen geben wird, besipielsweise durch Micropayment, das aber vielleicht direkt auch aus Abrufen von seinen Produkten reüssiert, so dass man da nicht mehr irgendwie einen Knopf drücken muss. Der Kunde ist sich also gar nicht darüber bewusst, sondern jedes Mal wenn er ein Produkt nutzt (z.B. ein Video, ein Text, ein Foto, ein Hologramm oder was es in der Zukunft auch immer geben wird), dass wenn jemand das aufmacht, abruft, anschaut, speichert oder was auch immer, dass dann eine Form von Refinanzierung stattfindet oder ein Mini-Betrag auf das Konto des Erzeugers oder des Organisators fließt. Darüber haben wir ja gerade geredet, dass es Organisatoren gibt, also jemand der mir Informationen auch nur gut organisiert, der muss die ja gar nicht selber schreiben. Dass der dann tatsächlich von hunderttausenden Individuen quasi direkt bezahlt wird, das kann ich mir vorstellen.

Oder aber eben eine große Firma (Google?), die es versteht, diese Leistung zu bündeln und daraus ein Geschäftsmodell für eine große Firma zu entwickeln. Die Zwischenhändler, also beispielsweise die Lastwagenfahrer, die die Zeitung morgens gebracht haben, die Druckereien, die Grosso-Händler, denen würde ich raten schon mal an eine Umschulung zu denken bzw. sich mal anzuschauen, wie so ein Blog funktioniert oder auch selber zu bloggen. Das macht Spaß, das sollte man mal ausprobieren!

Frisch gebloggt: Auf jeden Fall, das unterschreibe ich sofort! Deine Zukunftvision klingt sehr spannend. Vielleicht haben wir ja die Chance im Jahr 2025 noch einmal miteinander zu sprechen und zu schauen, wie sich die Medienindustrie bis dahin tatsächlich entwickelt hat. Vielen Dank für das Interview!

P.S. Dir hat dieser Artikel gefallen? Dann teile ihn bitte!

Katharina Kokoska

Bloggerin von Frisch-gebloggt.de // iNerd // Bloggerin, Texterin, Web Consultant und Internet-Poweruser // Bücherwurm und leidenschaftliche Hobbyfotografin // Nach-Gran-Canaria-Ausgewanderte

2 Antworten

  1. Maike sagt:

    Tolles Interview! Besonders der letzte Teil mit der Zukunftsvision des Journalisten als „Moderatoren“ finde ich spannend. So kann ich mir das auch gut vrstellen. Auch die Idee mit dem Micropayment und der „verdeckten Refinanzierung im Hintergrund“ finde ich glaubwürdig. Schauen wir mal, was kommt!

    • Andreas sagt:

      Ja, den Teil fand ich auch am spannensten. In der Branche der Berater hat sich ja auch vor mehreren Jahren alles vom Moderator hin zum Facilitator bewegt Auch hier gehts darum sich selbst mehr als „Enabler“ zu sehen statt als Dreh- und Angelpunkt.

      Die Idee mit dem Micropayment ist ja schon älter als das Internet und wurde bisher nur nicht umgesetzt weil es technisch etwas kompliziert ist. Ich bin gespannt auf die Realisierung (vor allem wenn sie im Hintergrund ohne zusätzlichen Aufwand passiert).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert